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Artikel in der Fachzeitschrift "M&A-Review": Drum prüfe, wer sich zeitweise bindet

Am 27. Januar 2021 hat der Gerichtshof der Europäischen Union die Haftung von Goldman Sachs (Goldman) für kartellrechtliche Verstöße der Prysmian-Gruppe (Prysmian) bestätigt. Das Urteil stellt die Haftung von Finanzinvestoren und Private Equity-Gesellschaften für kartellrechtliches Fehlverhalten ihrer Portfoliogesellschaften erneut in den Vordergrund.

Was war passiert?

Prysmian war von 1999 bis 2009 am Stromkabelkartell beteiligt. Goldman erwarb Prysmian im Kartellzeitraum in 2005 und hielt das Investment nur circa vier Jahre. 2014 verhängte die Europäische Kommission (Kommis­sion) ein Bußgeld in Höhe von 37 Mio. EUR gegen Goldman und machte den Investor damit als Gesamtschuldner mitverantwortlich für das kartellrechtswidrige Verhalten der Portfoliogesellschaft. Der Gerichtshof hat in der Revision die Argumente von Goldman umfassend zurückgewiesen, womit die Bußgeldentscheidung final und rechtskräftig wurde.

Für Finanzinvestoren und Private-Equity-Unternehmen stellt sich damit die Frage: Was sind die Folgen und wie geht man mit Risiken um, die in Portfoliogesellschaften schlummern?

Folgen

Das Urteil bestätigt die grundsätzliche Haftung von Finanzinvestoren und Private-Equity-Gesellschaften für die kartellrechtlichen Verstöße ihrer kontrollierten Beteiligungen. Kartellrechtsverstöße von Portfoliogesellschaften sind daher ein finanzielles Risiko, das mit teilweise exorbitant hohen Bußgeldern auf den Investor durchschlagen kann. Vereinfacht gesagt: Haftung entsteht, wo Kontrolle („bestimmender Einfluss“) besteht. Die kartellrechtliche Kontrolle folgt dabei nicht dem gesellschaftsrechtlichen Verständnis, sondern kann mitunter schon deutlich früher greifen. Darüber hinaus bestehen in bestimmten Konstellationen weitreichende Beweiserleichterungen zugunsten der Kommission in Form von Vermutungen.

Finanzinvestoren und Private-Equity-Gesellschaften sollten – abseits von eindeutig nicht kontrollierten Minderheitsbeteiligungen – sorgfältig prüfen, ob sie für eventuelle Verstöße ihrer Portfoliogesellschaften haften müssen. Ein eventuelles Bußgeld kann die ursprünglich erwartete Rendite schnell zunichte machen. Einen Sonderstatus dürfen Finanzinvestoren und Private- Equity-Gesellschaften nicht erwarten.

Im Falle von Prysmian war der bestimmende Einfluss von Goldman alles andere als eindeutig: Die Kapitalbeteiligung von Goldman an Prysmian veränderte sich erheblich und sank mitunter sogar unter 50%. Jedenfalls vor dem Börsengang von Prysmian 2007 kontrollierte Goldman jedoch 100% der Stimmrechte. Bis zum Beginn der kartellbehördlichen Untersuchung durch die Kommission 2009 hatte die Investmentbank keine Kenntnis von der Existenz des Kartells.

Wann haftet der Investor?

Unternehmen haften für Bußgelder gegen ihre Beteiligungen, wenn sie bestimmenden Einfluss („Kontrolle“ im kartellrechtlichen Sinn) auf die Gesellschaft ausüben. So wird das Verhalten einer Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft dann zugerechnet, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte miteinander verbinden.

Es gibt unterschiedliche Konstellationen, in denen die Haftung sehr wahrscheinlich, überwiegend wahrscheinlich oder unwahrscheinlich erscheint:

Haftung sehr wahrscheinlich

  • Alle oder nahezu alle Kapitalanteile werden gehalten oder kontrolliert oder
  • alle oder nahezu alle Stimmrechte werden gehalten oder kontrolliert, auch wenn nur geringe Kapitalanteile gehalten werden.

In diesen Fällen darf die Kartellbehörde vermuten, dass ein bestimmender Einfluss auf die Portfoliogesellschaft ausgeübt wurde (und muss diesen also nicht mehr beweisen). Zwar ist diese Vermutung der Einflussnahme widerlegbar, praktisch dürfte das jedoch kaum gelingen.

Haftung überwiegend wahrscheinlich

Eine Haftung ist auch bei deutlich weniger als 100% der Anteile/Stimmrechte wahrscheinlich, wenn ein bestimmender Einfluss ausgeübt werden kann und dieser auch ausgeübt wird. Faktoren hierfür sind etwa:

  • Benennung von Mitgliedern der Geschäftsführung
  • Das Recht, Haupt- oder Gesellschafterversammlun- gen einzuberufen
  • Die tatsächliche Rolle, die der Investor in entschei- denden Gremien einnimmt
  • Einflussnahme auf Budgeterstellung oder Geschäfts- pläne/Strategie
  • Regelmäßige Berichte und Updates an den Investor

Haftung überwiegend unwahrscheinlich

Eine Haftung ist in den folgenden Fällen unwahrscheinlich:

  • Reine Minderheitsbeteiligung
  • Nur typische Rechte eines Minderheitsgesellschafters
  • Keine Vetorechte im Hinblick auf geschäftlich entscheidende Parameter wie etwa Budget, Besetzung der Geschäftsleitung, Strategie etc.

Managing the Risk

Investoren können sinnvolle Maßnahmen ergreifen, um Geldbußen zu vermeiden:

Vor dem Erwerb - Drum prüfe, wer sich zeitweise bindet

Im Vorfeld einer Transaktion sollte die Zielgesellschaft bestmöglich durchleuchtet werden. Eine umfassende kartellrechtliche Due Diligence kann Risiken aufzeigen, die anderenfalls ungesehen bleiben und weiter im Unternehmen schwelen. Auch eine Auditierung der Zielgesellschaft kann angezeigt sein, wenn es Hinweise für kartellrechtswidriges Verhalten in der Vergangenheit gibt; der Umfang eines Audits sollte den jeweiligen Umständen angepasst sein. Ergebnisse der Due Diligence und eines eventuellen Audits lassen sich im Rahmen der Unternehmensbewertung und dann auch in Verhandlungen verwerten – entweder als kaufpreisrelevante Elemente oder auch als Begründung für umfassende Garantien oder Freistellungsregelungen im SPA.

Nach dem Erwerb - Vertrauen ist gut, Kontrolle ist essentiell

Nach Abschluss einer Transaktion ist es ratsam, den kartellrechtlichen Status einer neuen Portfoliogesellschaft durch einen Audit zu prüfen. Die Auditergebnisse können für die Begründung der Verkäuferhaftung erforderlich sein, soweit entsprechende vertragliche Haftungsregelungen vorhanden sind. Da solche Ansprüche meist zeitlich begrenzt sind, sollte nicht allzu lange mit dem Audit gewartet werden.

Auch ohne vertragliche Haftungsansprüche gegen den Verkäufer oder bei bereits länger gehaltenen Beteiligungen ist es sinnvoll, den kartellrechtlichen Status von Portfoliogesellschaften zu prüfen. Handlungsoptionen zur bestmöglichen Haftungsvermeidung oder -reduzierung erlangt man nur durch Aufklärung. Die Kronzeugenregelungen der Kartellbehörden eröffnen die Möglichkeit, einem Bußgeld vollständig zu entgehen oder im Rahmen einer Kooperation signifikant zu reduzieren.

Darüber hinaus bietet auch die Neuregelung zur kartellrechtlichen „Compliance Defense“ im deutschen Recht die Möglichkeit, durch den Aufbau einer wirksamen kartellrechtlichen Compliance in Portfoliogesellschaften eine Bußgeldreduzierung zu erhalten, sollte es trotz geeigneter Maßnahmen zu einem Kartellverstoß kommen. Diese Neuregelung schafft erhebliche Anreize, in eine systematische kartellrechtliche Compliance zu investieren.

Eine PDF-Fassung des Artikel können Sie hier abrufen: M&A-Review - Drum prüfe, wer sich zeitweise bindet