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Kartellrechtliche Compliance - Neue Chancen im GWB

Mit dem Inkrafttreten der Neufassung des GWB am 19.1.2021 haben sich wichtige Parameter im Kartellrecht verändert. Am prominentesten waren im öffentlichen Diskurs sicherlich die neuen Instrumente der Missbrauchsaufsicht zur stärkeren Regulierung der großen Digitalkonzerne wie auch die signifikant erhöhten Umsatzschwellen der Fusionskontrolle.

Doch eine Änderung – auf den letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens aufgenommen – bekommt ebenfalls besondere Aufmerksamkeit: In den neuen Katalog der Zumessungskriterien für Geldbußen wurde aufgenommen, dass bereits vorhandene Compliance-Vorkehrungen bei der Bußgeldzumessung zu berücksichtigen sind. Die kartellrechtliche „Compliance Defence“ hat damit Eingang in das GWB gefunden. Unternehmen können und sollten fortan im Rahmen der Bußgeldzumessung ihre kartellrechtlichen Compliancebemühungen umfassend vortragen, damit diese in der Zumessung berücksichtigt werden.

In § 81 d I Nr. 4 GWB heißt es:
(…) kommen als abzuwägende Umstände insbesondere in Betracht: 4. (…) vor der Zuwiderhandlung getroffene, angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen

Was bedeutet das?

Dem Gesetzestext lässt sich entnehmen, dass eine „Feigenblatt“-Compliance für eine Reduzierung des Bußgelds jedenfalls nicht ausreichen wird („angemessene und wirksame Vorkehrungen“). So weist auch die Gesetzesbegründung darauf hin, dass der Begriff der Vorkehrungen weiter ist als der in § 130 OWiG verwendete Begriff der „Aufsicht“, wodurch klargestellt werden soll, dass die Reichweite der Compliance über die aus §§ 30, 130 OWiG ableitbaren Anforderungen hinausgeht.

Durch das Erfordernis der Angemessenheit wird unterstrichen, dass eine „off the shelf“-Lösung im Regelfall nicht hilft. Vielmehr müssen die Vorkehrungen zum Unternehmen passen. Bei kleinen oder mittleren Unternehmen können daher gerade auch wenige und einfache Vorkehrungen ausreichend sein.

Besonders wichtig wird in zukünftigen Fällen das Merkmal der Wirksamkeit. In der Vergangenheit haben Kartellbehörden regelmäßig vorgetragen, dass das Vorliegen von Verstößen die fehlende Wirksamkeit beweist. Das lässt sich sicherlich so nicht weiter aufrechterhalten, da anderenfalls die Neuregelung keinen Anwendungsbereich hätte.

Entscheidend dürfte daher sein, dass die konkret geschaffenen Vorkehrungen dazu geeignet waren, den jeweiligen Vorfall zu vermeiden, auch wenn es im Einzelfall zu einem Verstoß gekommen sein sollte.

Anders gewendet: Je besser dargelegt werden kann, dass es sich bei dem Verstoß um einen Einzelfall handelt und nicht Ausdruck einer systematischen Schwäche der gewählten Compliance-Vorkehrungen, desto höher dürfte eine Reduzierung der Buße sein. Systematische Verstöße etwa auch unter Beteiligung der Geschäftsleitung oder des Vorstands dürften allerdings keine Gnade in dieser Klausel finden, da sich die notwendige Wirksamkeit dann nur noch schwer darstellen lässt.

Lohnt sich das?

Die Einführung einer echten kartellrechtlichen „Compliance Defense“ ist eine echte Chance: Auf viele Parameter der Bußgeldzumessung haben Unternehmen nur begrenzten Einfluss, die Einführung und Gestaltung von Compliance-Vorkehrungen haben sie jedoch selbst in der Hand.

Dabei hilft es im Blick zu behalten, dass die Vorteile einer guten kartellrechtlichen Compliance sich nicht (nur) in einer möglichen Reduzierung des Bußgelds messen lassen sollten, auch wenn diese im Einzelfall signifikant ausfallen kann. Gute kartellrechtliche Compliance führt im besten Fall dazu, dass es schon keine Verstöße im Unternehmen gibt. Sprich: Kein Bußgeld ist besser als ein reduziertes Bußgeld.

Wer im Unternehmen die Kosten für kartellrechtliche Compliance rechtfertigen muss und in Zahlen darlegen soll, der mag sich einen hypothetischen Fall mit einem realistischen Bußgeld rechnen. Gute Compliance verhindert den Verstoß und spart damit im Zweifel das gesamte Bußgeld. Falls doch etwas passiert, könnte allein der Wert einer realistischen Reduktion nach § 81d I Nr. 4 GWB die Compliance-Arbeit von einigen Jahren finanzieren.

Compliance lohnt sich also. Das war schon vorher so, gilt aber jetzt noch mehr.

Und jetzt? Was tun?

Wer sich schon um kartellrechtliche Compliance gekümmert hat, sollte hinterfragen: Sind meine Vorkehrungen (noch) angemessen und wirksam? Und wer noch keine kartellrechtliche Compliance implementiert hat, sollte dies jetzt tun.

Der Startpunkt ist in beiden Fällen eine ordentliche Risikoanalyse: Wo und wie begegne ich Wettbewerbern, Lieferanten, Kunden? Was ist mein Geschäftsmodell und wie verändert sich mein Geschäftsmodell beispielsweise durch die zunehmende Digitalisierung? Bin ich von anderen Unternehmen abhängig oder sind andere Unternehmen abhängig von mir? Diese Beispielsfragen sind ein Ausgangspunkt.

Eine strukturierte und systematische Analyse, die mit Blick auf den § 81d I Nr. 4 GWB unbedingt dokumentiert werden sollte, bildet das Fundament angemessener und wirksamer Vorkehrungen. Welche Vorkehrungen richtig, also angemessen und wirksam sind, kann man nicht pauschal sagen, sondern hängt von den jeweils ermittelten Risiken ab. Schulungen, Richtlinien und kommunikative Elemente sind dabei nur Standardbausteine. Auch hier gilt, dass die Vorkehrungen dokumentiert werden sollten.

Im Anschluss an die Implementierung von angemessenen Vorkehrungen ist sodann deren Wirksamkeit in regelmäßigen Abständen dokumentiert zu prüfen, sodass eventuelle Schwachstellen abgestellt werden können. Gleichzeitig sollte dabei geprüft werden, dass eventuell neue kartellrechtliche Risiken von den Vorkehrungen hinreichend adressiert werden. Eine förmliche Zertifizierung – so auch die Gesetzesbegründung – ist jedoch hierfür regelmäßig nicht erforderlich.

Kurzum: Gute kartellrechtliche Compliance ist kein Hexenwerk, sondern das natürliche Ergebnis eines systematischen und risikobasierten Aufbaus.

Wir haben umfassende Erfahrung in der Analyse der relevanten Risiken, der Konzeptionierung und Umsetzung einer für Sie passenden kartellrechtlichen Compliance. Sprechen Sie uns an.

Eine PDF-Version des Beitrags zum Download finden Sie hier: Kartellrechtliche Compliance - Neue Chancen im GWB