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Reform der Horizontal-Gruppenfreistellungsverordnungen und Horizontal-Leitlinien

Unser Partner Dr. Georg Schmittmann hat am 8.9.2020 einen Fachvortrag zur Reform der Horizontal-Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien bei der Studienvereinigung Kartellrecht gehalten. Aber was sind die Horizontal-GVOs und Horizontal-Leitlinien und was für eine Relevanz haben sie für Unternehmen? Wir geben hier einen kurzen Überblick und berichten zu den möglichen Neuerungen, die sich im Rahmen des laufenden Reformprozesses abzeichnen.

Einordnung

Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) sind Verordnungen der Europäischen Kommission mit Gesetzesqualität und daher in allen Mitgliedstaaten direkt anwendbar und verbindlich, auch für nationale Kartellbehörden wie das Bundeskartellamt und für nationale Gerichte. Die Kommission stellt in den GVOs bestimmte Typen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen vom Kartellverbot frei. Unternehmen werden hierdurch rechtssichere Handlungsspielräume gegeben, wie man auch mit Wettbewerbern in bestimmten Situationen zulässig zusammenarbeiten kann.

Neben weiteren GVOs (wie etwa der Vertikal-GVO, die sich mit Vereinbarungen von Unternehmen auf unterschiedlichen Marktstufen beschäftigt), gibt es zwei GVOs, die sich mit „horizontalen“ Vereinbarungen beschäftigt, also mit Vereinbarungen von Unternehmen auf derselben Marktstufe.

GVO zu Spezialisierungsvereinbarungen

Die Spezialisierungs-GVO enthält die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit Spezialisierungsvereinbarungen von Unternehmen vom Kartellverbot freigestellt sind. Hierbei handelt es sich um Vereinbarungen zur einseitigen Spezialisierung (ein Unternehmen verpflichtet sich, die Produktion bestimmter Produkte einzustellen und von einem anderen Unternehmen zu beziehen, welches sich seinerseits zu Produktion und Lieferung dieses Produkts an das andere Unternehmen verpflichtet), gegenseitigen Spezialisierung (Unternehmen verpflichten sich gegenseitig, bestimmte Produkte nicht mehr herzustellen und diese Produkte von dem jeweils anderen Unternehmen zu beziehen) sowie Vereinbarungen zur gemeinsamen Produktion.

Im Reformprozess wird derzeit erwogen, eine spezielle Kategorie von Spezialisierungsvereinbarungen einzuführen, die es kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) erleichtern soll, rechtssicher und einfach Spezialisierungsvereinbarungen zu schließen. Darüber hinaus wird erwogen, bestimmte Sub-Contracting-Vereinbarungen insbesondere zur Produktionserweiterung ebenfalls in den sicheren Hafen der Gruppenfreistellung überzuleiten.

GVO zu Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (F&E)

Die F&E-GVO enthält die Voraussetzungen, unter denen die gemeinsame Forschung, Auftragsforschung, aber auch die gemeinsame Verwertung von Forschungsergebnissen vom Kartellverbot freigestellt werden können. Diese GVO soll bestimmten Arten von Vereinbarungen einen rechtssicheren Rahmen geben, um Forschungsanreize zu erhöhen. Wesentliche Voraussetzung für die Freistellung ist dabei (zumindest bislang noch), dass die Parteien sich uneingeschränkten Zugang zu den Endergebnissen der gemeinsamen F&E geben, und, soweit die Ergebnisse der Forschung nicht auch gemeinsam verwertet werden, Zugang zu vorhandenem und für die Verwertung relevantem Know How zu geben.

Auch für die F&E-GVO wird derzeit erwogen, eine spezielle Kategorie von Vereinbarungen einzuführen, die es KMU erleichtern soll, rechtssicher und einfach F&E-Vereinbarungen abzuschließen. Besonders relevant für die Praxis sind jedoch zwei weitere aktuelle Überlegungen der Europäischen Kommission. So wird erwogen, bei F&E-Vereinbarungen unter Beteiligung von KMU und/oder Forschungsinstituten eine Anpassung oder sogar eine Streichung der oben geschilderten besonderen Freistellungsvoraussetzungen vorzunehmen (Zugang zu Endergebnissen und vorhandenem Know How). Noch einen Schritt weiter würde in der Praxis die Überlegung der Kommission führen, eine Anpassung dieser besonderen Voraussetzungen nicht nur als Privilegierung der KMU einzuführen, sondern eine Flexibilisierung für alle Unternehmen einzuführen. Aus Praxissicht können diese Reformüberlegungen uneingeschränkt begrüßt werden.

Leitlinien

Anders als GVOen haben Leitlinien keine Gesetzeskraft, sondern sind als Mitteilungen der Kommission nur eine Richtschnur, mit der Unternehmen ggf. mit der Unterstützung eines auf das Kartellrecht spezialisierten Rechtsanwalts, prüfen und entscheiden können, ob eine geplante horizontale Vereinbarung gegen das Kartellverbot verstößt. Hierfür geben die Leitlinien wertvolle Hinweise, wie die Kommission bestimmte Typen von Vereinbarungen bewertet. Neben weiteren Erläuterungen zu Spezialisierungs- und F&E-Vereinbarungen werden in den Leitlinien auch andere horizontale Vereinbarungen bewertet. Hierbei handelt es sich etwa um Einkaufskooperationen, Vermarktungskooperationen, Standardisierungsvereinbarungen oder auch den allgemeinen Informationsaustausch.

Auch zu den Leitlinien werden derzeit viele Anpassungsvorschläge diskutiert. Hierbei steht insbesondere im Vordergrund, wichtige aktuelle Entwicklungen wie etwa die Digitalisierung und auch den Klimaschutz besser in den Leitlinien zu reflektieren. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Leitlinien der Kommission entwickeln werden und in welchem Maße die Praxis von den Erwägungen der Kommission profitieren wird.

Ausblick

Der Reformprozess läuft noch. Mit den ersten Entwürfen der neuen GVOen und Leitlinien darf nach Auskunft der Kommission etwa im ersten Quartal 2022 gerechnet werden. Nach einer Konsultation dieser Entwürfe ist dann mit einer Verabschiedung passend zum Auslaufen der alten GVOen etwa im Dezember 2022 zu rechnen.